Offener Brief

Bürgerinitiative „Leben im Viertel“                                                             Bremen, den 21. 06. 2023
Email: lebenimviertel@t-online.de

Neubauten von Prostitutionsstätten in der Helenenstraße

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Bürgerinitiative „Leben im Viertel“ (LIV) wenden wir uns an Sie mit der Bitte, sich mit unseren Einwänden gegen die Ausweitung des Bordellbetriebs in der Helenenstraße zu befassen. Unsere Bedenken werden von der Mehrheit der Anwohnerinnen und Anwohner im Steintor sowie im Ostertor und Fesenfeld geteilt. (1)

Eine städtebauliche Sanierung liegt im Interesse der Öffentlichkeit

Erweiterungen von Bordellbetrieben halten wir grundsätzlich nicht für wünschenswert. Sie sind aber eine nicht tragbare Zumutung angesichts der geballten Probleme im Steintor: mit zunehmender Kriminalität, der Dealerszene, männlicher Dominanz und Machokultur, einem teilweise fragwürdig zusammengesetzten Publikum, ausufernden Partys, entsprechend vielen Betrunkenen, den inzwischen sehr präsenten Zuhältern auf der Straße und vielem mehr.
Der öffentliche Raum in der Helenenstraße und Vor dem Steintor bis hinein in die Seitenstraßen ist schon jetzt nicht mehr für alle uneingeschränkt nutzbar. Kinder, junge Mädchen, Frauen, ältere und körperlich beeinträchtigte Menschen meiden diesen Bereich.

Die Menschen, die hier leben und arbeiten, sind mit dieser Situation unzufrieden. Wenn sich daran etwas ändern soll, muss jede Chance genutzt werden, etwas Besseres zu entwickeln (was eigentlich Aufgabe der Stadtplanung sein sollte).
Der geplante Neubau für Prostituierte wird die problematische Situation weiter verschärfen, und das in einem so dicht bebauten Gebiet, mit Schulen, Kindergärten, Seniorenwohnheimen: Mehr Gewalt, mehr Drogen, mehr Kriminalität, und damit die weitere Verelendung des Steintor-Viertels.

In einem Gespräch mit VertreterInnen von SKUMS (Frau Nießen, Staatsrätin Bauressort; Herr Bewernitz, Leiter Stadtplanung/Bauordnung, Abtlg. 6; Herr Petry, Stadtplaner Bezirk Mitte, dazu gehört auch die Helenenstraße) am 17. Mai 2023 wurde uns folgender Sachstand mitgeteilt:

• Nach Angaben des Arbeitsressorts gibt es in der Straße derzeit 25 Gebäude zum Zweck der Prostitution. In ihnen befinden sich 51 „Arbeitsräume“. Der Investor hat acht Grundstücke gekauft und bisher für drei davon einen Bauantrag gestellt. Auf diesen drei Grundstücken, auf denen ein Neubau mit 15 „Arbeitsräumen“ entstehen soll, befinden sich derzeit drei „Arbeitsräume“. Die angrenzenden drei Grundstücke werden voraussichtlich ebenfalls mit 15 Räumen bebaut werden, bei den anderen beiden Grundstücken ist die Anzahl der Räume noch nicht abschließend geklärt. Es kann durchaus von einer erheblichen Ausweitung des Bordellbetriebes gesprochen werden.
• SKUMS würde eine Wohnbebauung aufgrund der zu erwartenden Nutzungskonflikte zum Schutz der Prostituierten nicht zulassen.
• Der Garagenhof gehört einem Projektentwickler aus dem Umland. Hier ist eine Wohnnutzung vorgesehen, eine Öffnung der Helenenstraße werde jedoch weder gefordert noch befürwortet.
• Es gebe aus fachlicher Sicht keinen Grund, den Bauantrag nicht zu genehmigen und die räumliche Konzentration für eine geschützte Unterbringung der Prostituierten gut geheißen.
• Mit den Architekten wurde vereinbart, dass eine eventuelle spätere Nutzung zu Wohnzwecken möglich sein soll.
• Bei SKUMS sei der Name des Antragstellers bekannt (es handelt sich um einen Eigentümer), aber es werde kein „Faktencheck“ durchgeführt. Dafür seien die Sicherheitsbehörden zuständig und verfügten über entsprechende Möglichkeiten.
• Die Frage der Sicherheit im Viertel für die AnwohnerInnen liege nicht in der Zuständigkeit von SKUMS.

Für uns ergeben sich aus dem Gespräch viele Fragen:

Will Bremen wirklich den Bordellbetrieb ausweiten, obwohl viele europäische Länder längst ein Sexkaufverbot durchgesetzt haben?

Die Ausweitung trägt dazu bei, Armuts- und Zwangsprostitution zu verstetigen und zu fördern. Benötigen die Frauen, die jetzt in der Helenenstraße arbeiten, nicht eher Ausstiegsperspektiven als schönere Räume?

Innenstadtnaher Wohnraum, auch für junge Familien, wird händeringend gesucht – hier wäre eine ideale Möglichkeit.

Wie zuverlässig und unbescholten ist der Investor? Angesichts der Müllproblematik in der Helenen-straße hieß es vor einigen Jahren, die Eigentumsverhältnisse seien nicht zu ermitteln. Wie konnte es dann einem Investor gelingen, acht Grundstücke, also fast ein Drittel der Straße, zu kaufen? Wie konnte er die Eigentümer ausfindig machen? Zeigt das nicht, wie eng seine Verbindungen in das Milieu sein müssen? Wie viele Vorbesitzer gab es bei den verkauften Grundstücken? Womit wurden sie zum Verkauf überredet? Woher kommt das Geld für acht Grundstücke und entsprechend viele Neubauten?
Es gibt Gerüchte, dass dieser Investor nicht „nur“ acht, sondern bereits dreizehn Grundstücke erworben hat. Was wissen Sie darüber?

Die räumliche Konzentration von Prostitution und Drogenhandel mag für die Ordnungskräfte wünschenswert sein. Für die Sicherheit und die Lebensqualität der Menschen vor Ort ist sie es nicht. Wie wollen Sie die Sicherheit der Bewohner und Besucher gewährleisten?

Die Architekten der Neubauten sollen eine spätere Umnutzung zu Wohnzwecken ermöglichen. Wann und warum soll diese Umnutzung „später“ erfolgen? Wie viel schwieriger als heute wird es nach der Ausweitung sein, für alle dann dort tätigen Prostituierten eine alternative Unterkunft zu finden?

In der Antwort der Bürgerschaft auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion Bremen im Jahr 2018 (2), in der es um die Perspektiven der Helenenstraße ging, heißt es: „Der Senat wird zur Begleitung des Runden Tisches und zur Entwicklung des Standortes eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Ressorts SUBV, SWAH und SI, bilden.“
Wer war am Runden Tisch beteiligt und welche Ergebnisse wurden erzielt?
Zu welchen Ergebnissen ist die Arbeitsgruppe gekommen?

Die Sicherheitsbedürfnisse der im Viertel lebenden Menschen berücksichtigen

Die Helenenstraße in ihrer bisherigen und aktuellen Nutzung trotz offensichtlicher Armutsprostitution nicht in Frage stellen zu wollen, ist das eine. Die Nutzung dort, trotz osteuropäischer, gewalttätiger Zuhältergangs (3), noch auszuweiten, das andere. Die Rede ist von bis zu 40 neuen „Arbeitsräumen“ bei zu erwartendem Mehrschichtbetrieb.
Politik und Verwaltung, aber auch Nitribitt, können sich angesichts dieser illegalen Strukturen nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass die Frauen in der Helenenstraße sicherer seien als anderswo. So werden die möglichen Interessen der Prostituierten und die definitiven Interessen der AnwohnerInnen gegeneinander ausgespielt.
Es ist unseres Erachtens sinnvoll und dringend geboten, hier eine Wohnstraße mit Durchgang nach Süden zu etablieren – und alternative Unterkünfte für die jetzt dort arbeitenden Prostituierten zu suchen bzw. zu schaffen, die entweder für eine Ausstiegsperspektive nicht erreichbar sind oder freiwillig weiter ihrer bisherigen Tätigkeit nachgehen wollen.

Wir halten es für zwingend erforderlich, dass sich alle betroffenen Ressorts zusammensetzen, damit auch Fragen der Sicherheit und der Zumutbarkeit für die AnwohnerInnen in die Entscheidung mit einfließen. Angesichts der Tragweite der Entscheidung muss die Gesamtsituation betrachtet und sollten zugleich perspektivische Überlegungen angestellt werden. (4)

Um die Anwohnerinnen und Anwohner über die Thematik und den aktuellen Planungsstand zu informieren, soll der Beirat ÖV baldmöglichst zu einer öffentlichen Sitzung einladen.

 

Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freuen uns auf Ihre Antwort
mit freundlichen Grüßen

Werner Scharf für die Bürgerinitiative „Leben im Viertel“ e.V.

 

 

zu 1: Unsere Initiative hatte im April 2023 zu einer Anwohnerversammlung eingeladen, auf der heftig gegen die derzeitigen Zustände in der und um die Helenenstraße sowie die Ausweitung des Bordellbetriebes protestiert wurde.
Auch der Wirtschaftsrat der CDU e. V., Landesverband Bremen, äußerte sich am 26.04.2023: „Die Ausweitung des Bordellbetriebes fügt der Wirtschaft und der Lebensqualität im Bereich der östlichen Vorstadt schweren Schaden zu. Es ist unserer Meinung nach ein schwerwiegender Fehler, wenn dieses Filetstück in der Mitte des Viertels nun Bordellneubauten erhält, anstatt die Straße zukünftig für eine attraktive Wohnbebauung zu nutzen. Mit dem Vorstoß, in der Helenenstraße die Bordellgebäude zu erneuern, gefährdet man die Standortattraktivität für den Einzelhandel im Stadtteil und wird Kaufkraft aus dem Viertel abziehen. Es wäre vielmehr zu begrüßen, wenn die politischen Entscheidungsträger sich verstärkt für einen komplett neuen Bebauungsplan mit Wohnbebauung einsetzen würden. Dieser könnte auch gleich den Garagenhof am Ende der Straße mit einbeziehen. Leider lässt Bremen hier erneut die Möglichkeit ungenutzt, die Attraktivität der Stadt durch einen zukunftsweisenden Bebauungsplans zu erhöhen.“
https://www.facebook.com/muellerarnecke/posts

zu 2. https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2018-03-13_Drs-19-747%20S_a4376.pdf

zu 3. siehe die Berichte von Anwohnerinnen und Anwohnern in der von LiV organisierten Veranstaltung im April, zum kleinen Teil hier erwähnt: https://www.weser-kurier.de/bremen/neubau-von-wohnungen-in-der-helenenstrasse-bremen-doc7puu1ht4yr81a3q5ikwl sowie den Artikel: https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/zwangsprostitution-in-bremen-das-ist-moderne-sklaverei-doc7qo5lgq67aqcuvewkxt

zu 4. „Leben im Viertel“ hat auf seiner Homepage ebenfalls eine mögliche Perspektive skizziert: http://lebenimviertel.org/category/die-helenenstrasse-im-steintor